Stolperfalle für Kunden und Vermittler: Die vorvertragliche Anzeigepflicht

Mit der Reform des Versicherungsvertragsgesetzes hatte der Gesetzgeber auch die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers in § 19 VVG zum 1.1.2008 neu gefasst. Als Reaktion auf die geänderte Rechtsnorm hatten die Gesellschaften ihre Antragsfragen überarbeitet und den Fragenkatalog vor allem zu Vorerkrankungen des Antragsstellers weiter gefasst.

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Die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers

Seit dem 1.1.2008 beschränkt sich die vorvertragliche Anzeigepflicht des Versicherungsnehmers beziehungsweise der zu versichernden Person auf die wahrheitsgemäße Beantwortung der vom Versicherer in Schriftform vorgelegten Antragsfragen. Eine darüberhinausgehende Verpflichtung zur Anzeige risikorelevanter Umstände besteht nicht.

Die Gesellschaften haben ihre Antragsfragen jedoch auf die geänderte vorvertragliche Anzeigepflicht angepasst und ihre Fragenkataloge in den Anträgen differenziert und auch verlängert. So finden sich in den Anträgen auf eine Berufsunfähigkeits-, Dread-Disease-, Grundfähigkeiten-, Kranken- oder Risikolebensversicherung regelmäßig Fragen nach Krankheiten, Beschwerden und Funktionsstörungen der zu versichernden Person, zum Beispiel in den letzten 5 Jahren vor Antragsstellung.

Der Teufel steckt im Detail: Welche Beschwerden sind anzeigepflichtig?

Rückenbeschwerden, an denen nach einer Studie des Robert Koch-Instituts 61,3 % der über 18-Jährigen in Deutschland mindestens einmal pro Jahr leiden, haben sich in Deutschland zur Volkskrankheit entwickelt. Eine falsche Sitzposition am Schreibtisch, mangelnde Bewegung und Übergewicht, aber auch Stresssituationen begünstigen Rückenbeschwerden, die überwiegend im Nacken- und im Bereich des unter Rückens auftreten. Vor allem Rückenschmerzen, die in der Vergangenheit nur mit Haus- und Schmerzmitteln und ohne ärztliche Behandlung kuriert wurden, werden in einem Versicherungsvertrag nicht oder nur unzureichend angezeigt.

Viele Kunden und nicht wenige Vermittler gehen davon aus, dass sich aufgrund des fehlenden Eintrags der Rückenschmerzen in einer ärztlichen Patientenakte die oftmals chronischen Beschwerden verschleiern lassen. Eine korrekte Anzeige im Versicherungsvertrag unterbleibt. Mit durchaus schwerwiegenden Folgen.

Seit wann haben Sie diese Beschwerden?

Chronische Rückenschmerzen können sehr belastend sein und in vielen Fällen verschlimmern sich Beschwerden mit einem steigenden Schmerzpegel über die Jahre hinweg. Wird der Leidensdruck hoch und der Dauerschmerz zur Qual, dann wird zumeist ein Arzt konsultiert. Im Rahmen der Anamnese stellt dieser regelmäßig eine Frage: „Seit wann haben Sie diese Beschwerden?“ Der schmerzgeplagte Patient schildert die fortschreitende Entwicklung seines gesundheitlichen Problems und die damit verbundenen Einschränkungen im Berufsalltag sowie im Privatleben. Diese wichtigen Informationen werden gewissenhaft in der Patientenakte dokumentiert.

Sofern die Untersuchung mit bildgebenden Verfahren einen multiplen Bandscheibenvorfall erkennen lässt und die Einschränkungen im Berufsalltag eine längere Arbeitsunfähigkeit begründen, wird häufig die Frage nach einem Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit gestellt.

Im Leistungsfall:

Nicht nur die Diagnosen, sondern auch die behandelnden Ärzte müssen wahrheitsgemäß benannt werden. Auch Angaben zum gesetzlichen oder dem privaten Krankenversicherer der versicherten Person sind erforderlich. Zuständige Leistungssachbearbeiter müssen die erforderlichen Auskünfte bei den behandelnden Ärzten einholen und die vom Antragsteller gemachten Angaben verifizieren können. Auf die Frage, seit wann die Beschwerden des Patienten bestehen, wird der behandelnde Arzt die Angaben zu den seit Jahren belastenden Rückenschmerzen und damit eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht offenlegen.   

Korrekte Angaben zur beruflichen Tätigkeit und zum Einkommen

Bei der Beantragung einer Berufsunfähigkeitsversicherung mit einer höheren Rentenleistung – zumeist ab einer monatlichen BU-Rente von > 1.500 Euro muss die zu versichernde Person auch Angaben zu ihrem Einkommen in den letzten 3 Jahren vor Antragstellung machen. Auch diese Frage sollte immer wahrheitsgemäß beantwortet werden, da der Versicherer auf der Grundlage des Einkommens und eventuell bereits bestehender Versicherungsverträge die Angemessenheit des beantragten Versicherungsschutzes prüft.

Somit werden Einkommenssteuerbescheide und Jahreslohnabrechnungen von Angestellten und Beamten beziehungsweise betriebswirtschaftliche Auswertungen, Bilanzen und Steuerbescheide von Freiberuflern und Selbstständigen eingefordert. Falsche Angaben zur Einkommenssituationen werden somit schnell aufgespürt.

Übrigens:

Selbst eine geschönte Darstellung der beruflichen Tätigkeit oder die unterlassene Anzeige risikorelevanter Freizeitaktivitäten kann schwerwiegende Sanktionen des Versicherers aufgrund des Verstoßes gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht zur Folge haben. Falsche Angaben führen somit zum Verstoß gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht – was wiederum vermieden werden sollte.

Die Gretchenfrage: Rücktritt vom Vertrag oder Vertragskündigung?

Deckt ein Versicherer eine Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht auf, stellt sich die Frage nach der Schwere des Verstoßes. Im Fall einer grob fahrlässigen oder sogar einer vorsätzlichen Verletzung der vorvertraglichen Anzeigepflicht kann der Versicherer innerhalb eines Monats vom Vertrag zurücktreten. Liegt kein so schwerwiegender Verstoß vor, das heißt, hat der Kunde seine Anzeigepflicht nur fahrlässig verletzt, so sieht das VVG ein Kündigungsrecht des Versicherers mit Monatsfrist vor.

Im Fall einer Kündigung des Versicherungsvertrages durch die Gesellschaft hätte der Versicherungsnehmer zumindest einen Anspruch auf die Auszahlung eines bereits gebildeten Rückkaufswertes. Der Gesetzgeber hat den Zeitraum für einen Vertragsrücktritt oder einer Kündigung des Versicherers allerdings zeitlich auf die ersten 5 Jahre nach Vertragsschluss befristet. Sofern der Versicherungsnehmer vorsätzlich oder arglistig die vorvertragliche Anzeigepflicht verletzt hat, verlängert sich dieser Zeitraum auf zehn Jahre.

Ein Verstoß gegen die vorvertragliche Anzeigepflicht muss allerdings nicht zwingend zur Leistungsverweigerung durch den Versicherer zur Folge haben. Sofern zwischen dem Verstoß des Versicherungsnehmers, z. B. der Nichtanzeige einer Vorerkrankung, und der ursächlichen, eine bedingungsgemäße Berufsunfähigkeit begründenden Erkrankung kein kausaler Zusammenhang besteht, kann der Versicherer zur Zahlung der versicherten Berufsunfähigkeitsrente verpflichtet sein.

Ein Beispiel:

Max Mustermann hat bei der Beantragung seiner Berufsunfähigkeitsversicherung eine Krebsvorerkrankung nicht angezeigt. In Folge eines schweren Unfalls mit multiplen Frakturen hatte der Versicherungsnehmer einen Antrag auf Leistungen wegen Berufsunfähigkeit gestellt. Bei der Prüfung des Leistungsantrags und einer damit verbundenen Anfrage beim Hausarzt erhielt der Versicherer Kenntnis von der Krebserkrankung. Nachdem jedoch kein kausaler Zusammenhang zwischen der Krebserkrankungen und den unfallbedingten Verletzungen bestand, erklärte der Versicherer seine Leistungspflicht.

Sofern der Versicherer auch in Kenntnis der nicht angezeigten Vorerkrankungen oder Risiken den Versicherungsvertrag mit vertraglichen Erschwernissen (Beitragszuschlag, Leistungsausschluss und/oder Wartezeit) angenommen hätte, ist er zu einem Vertragsrücktritt beziehungsweise einer Kündigung des Versicherungsvertrages nicht berechtigt.  

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Alexander Schrehardt

Geschäftsführer der Consilium Beratungsgesellschaft für betriebliche Altersversorgung mbH und der AssekuranZoom GbR, ist Betriebswirt bAV (FH), Versicherungsberater und Fachbuchautor.